MFAQ oder: Wie habt ihr euch eigentlich gefunden?

Wenn es so etwas wie die „Most Frequently Asked Question“ im Sektor gemeinschaftlicher Bauprojekte gibt, dann ist es die nach der Zusammensetzung der Gruppe. Kaum ein Gespräch mit Unbekannten über das Bauprojekt dauert länger als eine Minute, ohne dass die „Frage aller Fragen“ gestellt wird. Auf ein – mal mehr, mal weniger – geheucheltes „Ach, klingt ja interessant!“ (wahlweise: „spannend“, „freaky“…) folgt unweigerlich ein „Und wie habt ihr euch eigentlich gefunden?“ – manchmal noch ergänzt um den Zusatz „Freundeskreis, oder was?“ Kaum jemand fragt übrigens „Alle miteinander verwandt, oder was?“ Dafür ist die heutige Einschätzung der Wohn- und Arbeitsgemeinschaft des „ganzen Hauses“, das sich bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts größter Beliebtheit erfreute, dann doch zu realistisch.

Wann immer mir die Frage gestellt wird, wie wir uns gefunden haben, hole ich erst einmal tief Luft. Während mein Kopfkino die Antwort schon in wirren Liniengeflechten visualisiert, suche ich nach dem Anfang des „roten Fadens“. Wie soll ich etwas erklären, was sich jeglicher Linearität und Systematik entzieht? Was weniger irgendeiner Form von Berechenbarkeit unterliegt als Ausdruck echter Kontingenz ist?

Vielleicht ist der Ursprung unserer Baugemeinschaft, wie sie jetzt besteht, am ehesten im Frühjahr 2019 zu suchen – als nämlich zwei Baugruppen weitgehend unabhängig voneinander an ihrem Traum vom gemeinschaftlichen Bauen und Wohnen bastelten. Das Wörtchen „weitgehend“ signalisiert allerdings schon, dass es auch hier schon lose Verbindungsfäden gab. Während die Mitglieder der ursprünglichen Gruppe „NeighborWood“ unter Hochdruck ihr Ziel verfolgten, sich für den ersten Bauabschnitt auf dem Konversionsgelände „Spinelli“ zu bewerben, ging genau dies einzelnen Mitgliedern zu schnell, und so riefen diese eine eigene Interessensgruppe ins Leben – die „Slow-Food“-Variante des Bauens. „NeighborWood“ zog also Fäden: Der „Ableger“ wuchs schnell dank der extrem guten Vernetzung des Initiators, tagte regelmäßig, um erste Luftschlösser zu bauen und bereits bestehende Wohnprojekte zu besichtigen. Je konkreter es wurde, desto klarer wurde allen Beteiligten auch, dass die Gruppenzusammensetzung eine gewisse Konstanz bekommen müsste. Wie eine Luftblase zerplatzte dann allerdings der Traum vom gemeinsamen Bauen und Wohnen, als die Initiatorinnen völlig unverhofft ihr Traumhäuschen fanden und die Interessensgruppe verließen. Wie das bei Netzwerken so ist, gingen sie nicht ohne Beifang: Die Gruppe löste sich fast in Luft auf. Allein die stoischen „Seniors“ (vier an der Zahl) wollten ihren Traum nicht so schnell aufgeben und verfolgten verschiedene Spuren trotzig weiter, wenngleich ihnen klar war, dass ein „Eingenerationenhaus 50+“ nicht dem entsprach, was sie schon so viele Jahre gedanklich als Lebensentwurf umgewälzt hatten. Als im Sommer 2019 dann die ursprüngliche Baugruppe „NeighborWood“ notankerte, weil auch hier Mitstreiterinnen weggebrochen waren und der Prozess der Bewerbung auf ein Spinelli-Grundstück sich als Gordischer Knoten erwies, triggerten entsprechende WhatsApp-Signale die immer noch wild entschlossenen Restbestände der anderen Gruppe: Vielleicht ist die Fusion der beiden gebeutelten Projektgruppen am 05.09.2019 als Geburtsstunde der jetzigen Baugemeinschaft „NeighborWood“ zu sehen. Dieses Zustandekommen zeigt auf jeden Fall, dass Beziehungen im Freundeskreis zwar helfen können, dass es aber viel mehr um ein Netz von Interessierten geht, die voneinander wissen müssen – und dass es auch „Kupplerinnen“ braucht, die im richtigen Moment Netzverbindungen herstellen.

Nach der Formel „Ich kenne jemanden, der jemanden kennt, der jemanden kennt…“, mithilfe einer Börse der Stadt Mannheim am 22.02.2020, bei der gemeinschaftliche Bauprojekte sich vorstellen (eine der letzten Präsenzveranstaltungen vor Beginn der Pandemie) und über Inserate bei verschiedenen Plattformen bewerben konnten, gelang es der Kerngruppe, im Laufe der Monate in und um Mannheim Menschen für „NeighborWood“ zu begeistern. Wie durchlässig die „Szene“ ist, zeigt auch die Tatsache, dass sich dann doch auch wieder jüngere Mitglieder der Projektgruppe, deren betagtere Restbestände mit Original-NeighborWood fusioniert hatten, zurückgewinnen ließen.

Das klingt ein bisschen so, als füge sich eine solche Gruppe dank guter Netzwerke von selbst zusammen. Dies anzunehmen wäre allerdings, ein Tetris-Spiel im Kopf zu haben, bei dem die Bausteine gleichsam von selbst so fallen, dass immer vollständige Reihen entstehen. Wer Tetris spielt, weiß: Bis die „Stockwerke“ lückenlos gefüllt sind, müssen die Bausteine schnell und genau wahrgenommen, gedreht, gewendet und vielleicht auch in die eine oder andere Richtung verschoben werden: Wer immer sich bei „NeighborWood“ bewarb, wurde zu einem persönlichen (in tiefsten Tiefen des Lockdowns auch zu einem online stattfindenden) Gespräch eingeladen und sorgfältig wahrgenommen werden. Wenn die Gruppenmitglieder befanden, dass Bewerberinnen passten, mussten jene unter Umständen noch einmal gedreht, gewendet und verschoben werden, um letztendlich die Lücke im 1. OG in Süd-Ost-Ausrichtung zu füllen statt, wie gewünscht, im 4. OG in Süd-West-Ausrichtung. Manchmal passierte es auch, dass „Tetris“-Bausteine, obwohl sie so wunderbar zu passen schienen, unter der Last der darüber aufgetürmten Bausteine erodierten und die Gruppe wieder verließen. Einen Moment, in dem das ganze Konstrukt beinahe zusammenbrach, gab es im September 2020, als mehrere zentrale Mitglieder die Baugruppe verlassen hatten und die Verbleibenden dem Projekt mit einer größer angelegten Werbekampagne noch eine einzige Chance gaben – Ultimatum Ende 2020.

Ende 2020 war die Baugemeinschaft dann tatsächlich fast komplett, und für Verbindlichkeit sorgte zum einen eine Art „Ehevertrag“, das heißt ein Gesellschafterinnenvertrag, ebenso wie die zunehmenden finanziellen Verpflichtungen der Gesellschafterinnen.

Eine entscheidende Frage ist allerdings noch nicht beantwortet: Wie findet „Wahlverwandtschaft“ im Bereich des gemeinschaftlichen Bauens und Wohnens zusammen, wenn es sich nicht um langjährig erprobte Freundschaften handelt? Bei „Elitepartner“ & Co. helfen Algorithmen – uns halfen Prüfsteine der besonderen Art – und das Bauchgefühl. Auf dem Partnerschaftsmarkt der gemeinschaftlich Wohnwilligen kann man zwar schon davon ausgehen, dass bestimmte Konzepte des Wohnens und Zusammenlebens geteilt werden. Allein die Tatsache, dass sich Menschen zu „nachhaltigen“ Formen des Wohnens bekennen, garantiert jedoch noch nicht, dass eine Projektgemeinschaft funktioniert. Bei „NeighborWood“ ist es zum Beispiel ein klares Bekenntnis zum selbstgenutzten Wohneigentum, das von unseren Mitgliedern geteilt werden muss. Auch eine große Portion Pragmatismus und Kompromissfähigkeit der Bewerberinnen sollte in den Gesprächen zu spüren sein. Der Wunsch nach gemeinschaftlichem Erleben ist bei allen angelegt – ebenso wie der Respekt vor persönlicher Abgrenzung im Privatraum. Als einer der wirksamsten Prüfsteine für erwünschte Werthaltungen im Bereich von Konsum und Mobilität erwies sich allerdings die Reaktion der Bewerberinnen auf eine spezielle Vision der ursprünglichen Gruppenmitglieder: die Vision, anstelle einer Tiefgarage einen riesigen Fahrradkeller zu bauen, den man über eine Rampe ebenso bequem, per Remote-Knopfdruck und mit einem nonchalanten „Queen“-Winken erreichen kann wie andere mit dem SUV eben ihre Tiefgarage. Wer auch immer diese Fantasie nicht teilen konnte, war draußen.

Auf die „MFAQ“ gibt es also keine einfache Antwort. Ähnlich schwierig scheint allerdings die Anwort auf eine der zu erwartenden „FAQs“ nach Einzug: „Glaubt ihr denn, dass das Zusammenleben immer ‚Friede, Freude, Eierkuchen?‘ sein wird?“ Ich wage eine Prognose: (Eier-)Kuchen und Kaffee hoffentlich, dazu sicher nicht immer eitel Sonnenschein. Doch wenn wir auf die gemeinsame Wegstrecke zurückblicken, die wir durch die Pandemie und die Herausforderungen im Bausektor hindurch bereits mit vielen einstimmigen „NeighborWood“-Entscheidungen bewältigt haben, besteht Hoffnung, dass die Antwort dieser zukünftigen FAQ in zwei Sätzen erledigt werden kann.